Großsaarbrücker Karnevalsgesellschaft "Die Nassauer" 1980 e.V.
Großsaarbrücker Karnevalsgesellschaft"Die Nassauer" 1980 e.V.

Historisches

In jedem Jahr bereichert der historische Beitrag von Dr. Eckart Sander den Nassauer Jahreskalender.

 

Unser Dank gilt einem großen Freund der Nassauer und profunden Kenner der Saarbrücker Historie.

 

Historiker 

(Regionalverband Saarbrücken)
Dr. rer. pol. Eckart Sander

Vergnügt sein geht über Reichtum

 

                                                                         Sprichwort

 

Zum Brauch einer Person durchschnittlichen Profils gehört es, Feste zu veranstalten oder zu besuchen. Diese Annehmlichkeit hat Tradition. Wie man sie am Hofe des Saarbrücker Fürsten Wilhelm Heinrich begriff, unterschied sich freilich um einiges von der Gewohnheit in bürgerlichen Kreisen. An der Spitze des absolutistischen Systems stand unantastbar und fast ins Unerreichbare entrückt der Landesherr, dessen Position allein durch die Geburt bestimmt war. Für die Umgangsformen zwischen Herrscher und dem Rest der Welt sorgte ein streng gehandhabtes Zeremoniell. Es schrieb vor, auf welche Art und Weise jeder zu funktionieren hatte. Sogar ein höfisches Fest war dieser Systematik ausgeliefert. Auch und gerade bei Hofe wurde sehr wohl zwischen Festen privater Natur (Geburten, Hochzeiten usw.) und solchen allgemeiner Lustbarkeit unterschieden. Ein Fürst blieb so oder so das, was er im Sinne von "L'État c'est moi", des (nicht verbürgten) Ausspruchs Ludwigs XIV., war, nämlich ein gottähnliches Wesen auf Erden. Daraus ergibt sich anderseits, dass dem Herrscher beachtliche Repräsentationspflichten auferlegt waren, die dem Trugbild des Auserwähltseins zu einem mehr oder weniger dünnen Anstrich von Glaubwürdigkeit verhelfen mussten. Damit sei nicht unter den Teppich gekehrt, dass den großen Herren die Beherrschung ihrer Länder nicht selten wie ein Mühlstein am Halse hing, weshalb wir ihnen wenigstens die halbgöttlichen Formen gelegentlichen Müßiggangs nachsehen wollen.

 

Auf der Gartenseite des Saarbrücker Schlosses befanden sich in der Beletage rechts des mittig angelegten Speisesaales die den Staatsverpflichtungen gewidmeten Repräsentationsräume, darunter der hoheitlichen Empfängen zugewiesene Audienz-Saal. Sein Grundriss, in Saarbrücken acht mal acht Meter, entsprach als Quadrat den Vorschriften französischer Architekturlehre. Auf der linken, dem Trillerhang zugewandten Seite verfügte Gemahlin Sophie Erdmuthe punktgenau über die gleiche Zimmerflucht. Ihr Audienz-Zimmer war wie das der meisten Fürstinnen deutscher Zunge aus der französischen Berühmtheit Chambre de Parade mit dem legendären Lever und Coucher hervorgegangen. In deutschen Landen hatte die welsche Bedeutung der königlichen Schlafstatt keinen Eingang gefunden. Die Integration des französischen Raumtypus in Schlösser des Heiligen Römischen Reiches begnügte sich symbolhaft mit einem Kanapee. Das Audienz-Zimmer von Sophie Erdmuthe (wie auch das ihres Gemahls) war also kein Ort andächtigen Verharrens vor einem herrschaftlichen Bett. Unter ihrer und der Regie des Hofmeisters ging es hier hoch her, wenn an Galatagen glänzende Festlichkeiten angesagt waren.

 

Nachdem grundlegende Zusammenhänge geklärt sind, können wir als gemeldete Gäste den Anblick der Raritäten genießen, die ausnahmslos zu bewundern sind. Das Kanapee, sechs bequeme Fauteuils mit Schonbezügen, eine sechsblättrige spanische Wand, vier Fenstervorhänge - alles in Grün gehalten und aus Damast oder Glanzleinwand gefertigt. Nimmt man das professionelle Grün der drei Spieltische hinzu, wird vollends offenbar, dass der dominante Farbspiegel auf den Garten vor den beiden Fenstern abgestimmt ist. Besonders apart wirkt das an eine grün-weiße Schnur gebundene Glöckchen, dessen Ton für die Ohren der Dienerschaft bestimmt ist. An der zum Sommerkabinett führenden Tür trifft man auf die Werkzeuge zur Unterhaltung des Kaminfeuers, deren Griffe wie die Standbeine des mit Point-Stickerei bespannten Kaminschirms vergoldet sind. Das edle Metall blinkt auch auf den Beschlägen eines schwarz gebeizten Uhrenkastens und an einem gläsernen Gehäuse, das einen Elefanten beherbergt, dem als Reiter eine Uhr mit Glockenspiel aufsitzt. Die warmen Goldtöne vermählen sich mit dem kühlen Grün zu unübertrefflicher Wirkung.

 

Eine Steigerung des Prunks bieten drei große in vergoldete, üppig geschnitzte Holzrahmen gefasste Spiegel, die jeweils beidseitig von zweiarmigen Kerzenleuchtern aus Porzellan umgeben sind. Ein Blick zur Decke lässt den Atem stocken. Das ungläubige Auge gewahrt keinen - hier muss zweimal gelesen werden - kristallischen, sondern einen porzellanen Kronleuchter. An dieser Stelle zeigt sich mit aller Deutlichkeit die erste Wahl des Interieurs. Genau das war es, woran Adolph Freiherr Knigge gedacht haben musste, als er das Saarbrücker Schloss eine der schönsten Fürstenwohnungen Deutschlands nannte. Achtsam umrunden unsere Füße zwei japanische Bodenvasen und verharren vor Gemälden mit den Abbildungen der spätantiken freien Künste Geometrie, Astronomie, Musik, Grammatik, Rhetorik, Dialektik und Arithmetik. Weder die kühle Regelkunst der Geometrie noch die Unendlichkeit der Himmelskunde und schon gar nicht die wortspitzige Dialektik vermögen uns recht zu begeistern. Erst beim Anblick des Konterfeis der polnischen Prinzessin Maria Leszczynska, nachmalig Königin von Frankreich, kehrt unsere Fröhlichkeit zurück.

 

Hier, wo die Ausstattung des Schlosses und seine Bewohner samt Gästen deutliche Höhepunkte feiern, kann das Haus Nassau-Saarbrücken in aller wohl- und gelegentlich auch angeborenen Bescheidenheit zeigen, was es darstellt. Der heutige Hoftag währt schon drei Stunden. Nichts lässt an ein Ende der guten Laune denken, in die sich die immer lustiger werdende Versammlung hineintrinkt. Wilhelm Heinrich, angesteckt von der exzellenten Stimmung, gibt Hofkeller Röchling das verabredete Zeichen zur Aufgabe jeglicher Sparsamkeit. Der lockert auch umgehend die Zügel und lässt Kellermeister Fohrberg nach dem üblichen Landwein nun Burgunder, Muskateller und Champagner auffahren. Mundschenk Schwarz kann mit Korkenziehen und Ausschenken kaum nachkommen. Das schöne Polenkind Maria schaut aus dem Bilderrahmen auf das Treiben herab und scheint breiter zu lächeln als sonst. Eine Hofdame aus Sachsen will bemerkt haben, dass sie ihr ein Auge zuwarf und heimlich mitfeiert. Zu gönnen wäre es ihr, denn sie ist von Herzen zu bedauern, weil eine innige Beziehung zu einem badischen Erbprinzen durch eigennützige Intrigen ihrer Mutter in die Brüche ging. Mit zweiundzwanzig wurde sie jenem fünfzehnjährigen Ludwig angetraut, der später als blasierter Ludwig XV. in Versailles Geschichten machte - und nebenbei auch ein wenig Geschichte. Die Namen der kostspieligen Mätressen des Bourbonen sind allseits bekannt. Die forsche Madame Pompadour konnte wenigstens vorzüglich tanzen, zeichnen und deklamieren, während Madame du Barry nicht viel mehr als ein lüsternes Augenblinzeln zuwege brachte. Niemand hat je die Tränen gezählt, die die unglückliche Königin wegen der Untreue ihres Mannes vergoss.

 

Aber für Trübsinn ist heute niemand zu haben. Man tanzt Menuett, trinkt erlesene Tropfen und verspeist Häppchen, die wir heute Kanapees nennen, was damals größtes Erstaunen ausgelöst hätte. In vorgerückter Stunde meldet sich Fräulein von Nauendorf, die Hofdame aus Sachsen, mit einer vergnüglichen Geschichte zu Wort, die sich einst in ihrer Heimat zugetragen hatte. Es ging um Kurprinz Friedrich August, den Sohn des starken August. Um den Spross von Hofintrigen fernzuhalten, schickte man ihn auf die übliche Kavalierstour, die sieben Jahre dauerte. Schon bald sprach sich herum, der künftige Kurfürst bereise insgeheim seine Erblande, um sich ein wahrheitsgetreues Bild von ihnen zu machen. Diese Mär erreichte auch das Jagdschloss Augustusburg, wo gerade ein junger Herr eingetroffen war, der sich sehr zurückhaltend benahm und von Oberlandfischmeister von Günther für den Thronerben gehalten wurde. Er veranstaltete deshalb Feste, spendierte dem Fremdling teure Kleidung und sogar Schmuck in der Annahme, all das würde sich später einmal auszahlen. Als man am Dresdner Hof, wo bekannt war, dass Friedrich August gerade in Paris weilte, davon hörte, ging man der Sache auf den Grund. Der vermeintliche Thronerbe entpuppte sich als hübsche Tochter eines Webers aus dem Nachbarort Wolkenstein, die sich zu Hause gelangweilt und in Männerkleidung Abenteuer gesucht hatte. Weil sie so klug gewesen war, sich zu keiner Zeit für den Kurprinzen auszugeben, kam sie mit lebenslanger Haft davon. Ob der blamierte Fischmeister besser gestellt war, ist wie vieles im Leben Ansichtssache. Er musste "Prinz Lieschen" zeitlebens täglich einen Taler Unterhalt zahlen. Die Hofdame erntet für ihren Bericht viel Beifall. Die Polin wäre vor Lachen fast aus dem Rahmen gefallen. Als gut erzogene Tochter von Stand entscheidet sie sich dann doch zur Wahrung der Etikette und setzt wieder ihr züchtiges Lächeln auf.

 

Eckart Sander

 

Wer die Krankheit heilen soll,

der muss sie kennen.

                                                                                                        Sprichwort

 

«Gott lässt genesen, der Arzt holt die Spesen». So wird man auch an der Saar schon im Mittelalter gedacht haben. Wer waren diese Ärzte? Studierte Mediziner gab es in Deutschland erst spät, und selbst dann nur wenige. Wer alles hatte sich vor ihnen nicht mit heilender Tätigkeit abgegeben: die Muhme, der Schäfer, der Hufschmied, die Hebamme, der Scharfrichter, nicht zu vergessen das schillernde Völkchen umherziehender Vagabunden. Unter den Letztgenannten gab es Chirurgen, die mit großem Können und dem nötigen Glück gewagte operative Eingriffe vornahmen und dadurch begehrt, ja berühmt wurden. Doktor Eisenbart ging gar ins Reich der Legende ein. Als der kurfürstliche Wundarzt Dr. Bartisch in Dresden über den Steinschnitt schrieb, dass dabei «Schinder, Seuhschneider, Schellmen und Diebe ... gar viel Menschen um ihr Leben bringen», lag das ganz im Sinne dieser verdienstvollen Handwerkschirurgen.

Denn wie andernorts geschah es auch in Saarbrücken, dass ein dahergelaufener Kurpfuscher mit lärmender Glocke auf dem Marktplatz ein vom Stein geplagtes Wesen anlocken konnte, weil der ortsansässige Barbierchirurg das Risiko des Eingriffs scheute und sich seitwärts in die Büsche geschlagen hatte. Der von monatelangem Schmerz zermürbte Patient schöpfte erneut Hoffnung, auch wenn sie das Seil ist, an dem wir uns manchmal zu Tode ziehen. Von Schaulustigen umringt ließ sich der Kranke willig in das Hinterzimmer einer Schenke führen und auf einen Stuhl schnallen. Nachdem das Honorar kassiert war, bekam er so lange Branntwein eingetrichtert, bis er nur noch lallen konnte. Nun stieß ihm der Operateur das Messer zwischen die Beine und tastete im Schweiße seines Angesichts mit der Zange, dann mit den Fingern nach dem Stein der Weisen. War dieser wegen fehlerhafter Diagnose unauffindbar, wurde aus dem Ärmel blitzschnell ein Kiesel gezaubert und dem applaudierenden Publikum präsentiert. Anschließend machte sich der Scharlatan flugs aus dem Staube. Das Schicksal des geprellten Unglücksraben kann man sich denken.

 

Im Spätmittelalter waren als ständige Vertreter der «Ärzteschaft» in den meisten Städten nur Bader und Barbiere verfügbar. Letztere waren meist Angestellte in den von Badern betriebenen Badstuben. Das chirurgische Können der Bader beschränkte sich auf das (wundheilende) Schröpfen, das Ziehen von Zähnen und auf das Aderlassen. Zusätzliche Künste beherrschten schon eher die Barbiere, deren Beruf im 12./13. Jahrhundert entstand, als Scheren, Rasieren und Haarpflege in Mode kamen. Dabei ergab sich ab und zu die Notwendigkeit, hier und da einen kleinen Schnitt zu versorgen, eine Warze zu entfernen. Die Scherer lernten Fertigkeiten hinzu, bis sie Starstiche vornehmen, Abszesse spalten, Knochenbrüche und Gelenkverrenkungen behandeln konnten. Steinschnitte, Bruchoperationen und ähnlich waghalsige Hochleistungen überließen sie wohlweislich den wandernden Handwerkschirurgen. Nicht anders wird sich der geachtete «maistre Jehan lou barbier» verhalten haben, den man 1341 in Saarbrücken antreffen konnte. Ein anerkannter Fachmann war auch Meister Hans, «scherer zu Berriß» (Berus), den Graf Johann III. von Nassau-Saarbrücken zu seinem Leibarzt erhob (1449). Von einer städtischen Hebamme ist erstmals 1493 die Rede. Das Haus, in dem die hilfreiche Frau wohnte, stand in der Neugasse. Sollte sie ihre Kunst zeitgemäß beherrscht haben, war es ihr möglich, auch Zangengeburten, ja selbst Kaiserschnitte auszuführen. Kleinere operative Eingriffe wie die Öffnung von Abszessen gehörten zum Alltäglichen der Heilkundigen. Wie sehr Gesundheit geschätzt wurde, offenbarte 1495 Graf Johann Ludwig. Vor Antritt seiner Pilgerreise nach dem fernen Palästina ließ er Dr. Peter aus Worms rufen, um sein Gebiss versorgen zu lassen. Offenbar ist man mit dem Mann bei Hofe recht zufrieden gewesen, denn im gleichen Jahr, merkwürdigerweise bei schon reisebedingter Abwesenheit des Grafen, ritt er abermals nach Saarbrücken, damit Gräfin Elisabeth wieder kräftig zubeißen konnte. Die Geschichtsforschung wird bei der noch ausstehenden Wertung des zweiten Arztbesuches zu beachten haben, dass der in fortgeschrittenem Alter von allerlei Gebresten geplagte Graf und Ehegatte keinen Medikus wieder konsultierte, sondern durch eigenhändig gebraute Elixiere sich selbst zu kurieren versuchte. Nicht ganz unschuldig an dieser Behandlungsweise von Krankheiten wird freilich auch Theophrastus Paracelsus gewesen sein, der mit ärztlichen Künsten und dem Abrakadabra der Goldmacherei in halb Europa viele Fürsten und sogar Gelehrte für sich zu gewinnen wusste. Nicht selten erregten als tüchtige Heiler Juden die Aufmerksamkeit wie Meister Marx, der für das leibliche Wohlsein von Graf Philipp II. zuständig war (1548). Die Kunst bedarf des Glücks und das Glück der Kunst, sagt man. Hier fand eins nicht zum anderen. Der Arzt wusste die fortschreitende Erblindung des Landesvaters nicht aufzuhalten, worüber er selbst, nicht gerade der Gesündeste, die Augen für immer schloss. Nach ihm wurde Hieronymus Bock, ein weithin berühmter Medicobotaniker, Leibarzt von Philipp. Bock machte sich selbst zum Gärtner, als er zu Studienzwecken hinter der Burg einen Gewürz- und Kräutergarten anlegte, der in unseren Tagen im Schlossgarten auf Initiative des Historischen Museums Saar eine sehenswerte Nachbildung erfahren hat. Nach kurzer Zeit verließ Bock Saarbrücken wieder. Vorher empfahl er dem Grafen noch seinen Schüler Jakob Theodor aus Bergzabern als Nachfolger. Als Philipp diesen verpflichtete, «dass er sonderlich auf Ihr Gnaden, deren Gemahel, Frauenzimmer und Hofgesind warten sollte», war ein segensreicher Griff getan. Tabernaemontanus, wie er genannt wurde, erlangte 1553 großes Ansehen, als er nach Ausbruch der Beulenpest Verhaltensweisen empfahl, die eine größere Ausdehnung der Epidemie verhinderten und vielen Menschen das Leben retteten. 1601 erließ Graf Philipp III. eine Arzt- und Apothekerordnung mit der Absicht, den Badern, Barbieren und durchreisenden Quacksalbern das Wasser abzugraben. Er berief einen Arzt und Apotheker, beide akademisch geschult, nach Saarbrücken und nahm sie persönlich unter Eid und in die Pflicht, allerbeste Arbeit zu leisten. In der Hintergasse wurde im Halbdunkel einer Apotheke freilich nach wie vor in Phiolen so manche ominöse Tinktur gemixt, in Mörsern so manches bedenkliche Pulver gestampft, auch die angeblich nur unter Galgen gedeihende Zauberwurzel Alraune, Galgenmännchen genannt, verkauft. Die damit verbundenen Risiken und Nebenwirkungen bestanden in der drohenden Ungnade des Grafen, wonach aber weder Arzt noch Apotheker viel fragten. Der nachfolgende Graf Ludwig war wieder mehr vom Probieren als vom Studieren überzeugt und ließ sein gebrochenes Bein von einem aus Straßburg herbeigeeilten Barbier zurechtbiegen (1607).

 

Auch ein gutes Jahrhundert später schwor man noch auf die chirurgischen Fähigkeiten der Barbiere. Anno 1717 gestattete ihnen Graf Karl Ludwig, zünftig zu werden. Im Zunftbrief war ortsfremden Barbieren wie auch Marktschreiern, Zahnbrechern, Hausierern und Schindern das Praktizieren in Saarbrücken streng verboten. Der Brief schützte die Barbiere aber auch vor Übergriffen heimischer Ärzte, die ab nun einzig und allein für «innerliche Kuren» zuständig sein sollten. Andererseits hatten es die Barbiere zu unterlassen, Medikamente «zum innerlichen Gebrauch» zu verabreichen. Davon ausgenommen waren Heiltränke zur «Kurierung französischer Schäden», welche der Preis für das unverhüllte Vordringen welscher Lebenslust waren.

Dr. Eckart Sander

 

K l e i n e H i t p a r a d e nassauischer Landesväter

 

 

 

Zum Ministerpräsidenten wird man gewählt, der Ehrentitel Landesvater will erworben sein.

 

Weil zwischen Kiel und München, wie zu hören sechzehn Landesväter regieren, kann es in Deutschland um Würde und Ansehen so schlecht nicht bestellt sein.

 

War das schon immer so?

 

Zu jener Zeit, als die Landeskinder noch Untertanen hießen, waren die Regenten schon gebackene Landesväter, als sie noch in den Windeln lagen. Ein berühmtes Stammhaus solcher

Oberhäupter ist das Haus Nassau, das seine Stammbesitzungen im

alten Lahngau hat.

Seinen Ursprung leitet es von einem Grafen Dudo ‚ her, der als Erbauer der Lurenburch (Laurenburg) gilt, die erstmals das Jahr 1093 bezeugt ist. Ihr fünfeckiger Bergfried ragt noch heute weit sichtbar in den Himmel.

 

Die Söhne Ruppert und Arnold begannen 1124 in unmittelbarer Nachbarschaft mit dem Bau der Burg Nassau, die Erzbischof Hillin von Trier den Nachkommen zu Lehen gab Sie nannten sich nun Grafen von Nassau.

 

Infolge einer Besitzteilung unter den Brüdern Otto und Walram spaltete sich das

Grafenhaus 1255 auf in den ottonischen und den walramischen

Zweig, denen die Ländereien nördlich beziehungsweise südlich

der Lahn zugeordnet wurden.

 

Dem ottonischen Zweig entspross der geachtete Wilhelm III. von Oranien,

1689 König von England.

 

Der walramische Zweig legte mit Adolf, 1292 deutscher Kaiser, Ehre ein.

 

1605 vereinigte Graf Ludwig, Bauherr des Saarbrücker Renaissanceschlosses, die von der

älteren walramischen Linie noch blühenden Zweige Idstein,

Saarbrücken und Weilburg in einer Hand. Nach der Erbteilung seiner Söhne (1629) gelangten die drei Zweige zu neuer Blüte.

Die Saarbrücker Linie teilte sich in die Unterlinien Saarbrücken, Ottweiler und Usingen.

 

Diese drei Unterlinien nahmen wie auch Idstein 1688 den Reichsfürstentitel

an , den Sprung ins Reichsfürstenkollegium schafften sie jedoch nicht. Bei Reichstagen

saßen sie wie zuvor auf der Grafenbank.

 

Die Linie Nassau- Idstein schaffte es bis zu Fürst Georg August Samuel, der 1704-06 das prächtige Rheinschloss zu Biebrich erbaute. Es hatte rund 160 bewohnbare Zimmer und wurde das nassauische Versailles' genannt.

 

1721 starb der Erbauer an den für Blattern. Seine Saarbrücker Vettern

beerbten ihn. Die Unterlinie Saarbrücken erlosch, als 1723 Fürst Carl Ludwig das Zeitliche mit dem Ewigen tauschte. Liselotte von der Pfalz, Herzogin von Orleans,

beurteilte ihn mit ihrer spitzen Brieffeder als einen »Tölpel in folio, wie ein Bär, kann weder

gehen noch reden.«

 

Bald darauf war es auch um die Unterlinie Ottweiler geschehen.

Als Fürst Friedrich Ludwig sich 1728 zur ewigen Ruhe begab, hinterließ er verwaiste Landeskinder und mehrere leibliche Töchter.

 

Die üppige Luise war mit Rheingraf Carl verheiratet. Das Haus Usingen überlebte. Es beerbte die Linien Saarbrücken, Ottweiler und teilte sich 1735 in die Unterlinien Usingen und Saarbrücken, die bis 1816 beziehungsweise 1793 bestanden.

 

Jedem echten nassauischen Landeskind wird das Herz aufgehen, wenn es das Folgende zur

Kenntnis nimmt.

 

Vollrath, der Stammvater der usingischen Linie, hatte 1688 den Fürstentitel erworben, war in holländischen Diensten ein schneidiger Generalfeldmarschall und in den Augen der Herzogin von Orleans »ein artiger, hübscher, angenehmer Herr.«

 

Im Schloss zu Usingen, das er bauen ließ, kam 1684 sein Sohn Wilhelm Heinrich zur Welt.

Dieser kann seinem Vater keinesfalls ähnlich gewesen sein, denn die scharfzüngige Herzogin nennt ihn »ein häßlich stupid Kind, so weder zu sieden noch zu braten war.«

 

Trotzdem ließ sich eine Cousine von Nassau-Dillenburg überreden, ihn zu heiraten.

Gott sei Dank! wie gleich zu hören ist.

 

Ehe er 1718 die Augen schloss, hatte er nämlich zweimal für Nachwuchs gesorgt. So erblickte 1712 Carl, der dritte Fürst des Hauses Usingen, das Licht der Welt. 1718 folgte sein Bruder‚ der‚Saarbrücker' Wilhelm Heinrich, dem man den Namen des jüngst verstorbenen verstorbenen Vaters gab.

 

Carl erhielt bei der Teilung von 1735 neben Usingen die Herrschaften Idstein und Wiesbaden mit Schloss Biebrich.

 

1744 sagte er Usingen adieu und residierte fortan in dem unmittelbar am Rheinstrom gelegenen ‚nassauischen Versailles'.

 

Es scheint so, als habe er an Gemüt mehr dem »angenehmen« Großvater als dem »stupiden«

Vater geglichen.

 

1774 besuchte Björnstahl, ein schwedischer Tourist, den Hof Carls und schrieb in sein

Tagebuch: »Die Aussicht in Biberich ist eine der schönsten, die man haben kann. [...]

Der hiesige Garten ist groß und gut eingerichtet. [...]

Der regierende Fürst Carl ist ein guter Vater.«

 

Weiter fiel dem Nordländer angenehm auf, dass Serenissimus bürgerlich kleidet, auf das

Tragen eines Degens verzichtet und seine »Kriegsmacht« aus nur hundertundfünfzig Mann besteht. Carls Sohn und Erbe, Prinz Carl Wilhelm, notierte der Gast, sei ein wohlerzogener

junger Herr, der das Leben liebe - und seine Gemahlin Caroline von Leiningen.

 

Als 1780 ein Reisender erneut über den Hof zu Biebrich berichtet,

ist Carl Wilhelm schon Regent.

 

Gute Gesichtsbildung, schlichte Kleidung, vornehme Zurückhaltung beim Sprechen und sanftes, gefälliges Betragen verrieten, heißt es in den Reisenotizen, einen Mann,

der überzeugt sei, dass die Würde des Menschen nicht auf äußerlichem Glanz beruhe.

 

Gespeist wurde im Schloss unter der Kuppel der großen Rotunde.

Scherze, Frohsinn und was sonst noch die Tafeln der Fürsten flieht,

saßen hier mit zu Tisch. Man wagte es, laut zu reden und sich satt zu

essen, ohne dass aller Augen ängstlich auf das Mienenspiel des Einzigen gerichtet waren.

 

Für die Häupter der Unterlinie Saarbrücken, die bei der 1735er Teilung vornehmlich die ehemaligen Grafschaften Saarbrücken und Ottweilerauch die winzige Herrschaft Jugenheim bei Mainz mit ihren vorzüglichen Weinbergen zugewiesen bekamen, scheint nach

dem Gesagten eine Steigerung an Güte und Edelmut kaum noch vorstellbar. Dass dennoch eine Aufstufung möglich war, sehen wir , sehen wir, sehen wir an Wilhelm Heinrich, dem Stifter der Unterlinie Saarbrücken. Er und sein talentvoller Baumeister Friedrich Joachim Stengel sind diejenigen, denen wir außer Schloss und Ludwigskirche vieles von dem

verdanken, was die Liebe zu Saarbrücken in uns wach hält.

 

1768 übernahm sein Sohn die Regentschaft. Fürst Ludwig Jäger aus Leidenschaft, ein erklärter Freund des Theaters und Liebhaber von Gartenanlagen.

 

1771 bescherte ihm die Vorsehung in Gestalt einer fünfzehnjährigen Bauerntochter die Liebe seines Lebens. Jahre später wurde sie seine Gemahlin. Der ersten Ehe mit einer thüringischen Prinzessin war Erbprinz Heinrich entsprossen. Zufällig befand sich dieser unter

den Gästen der oben zitierten Tafelrunde im Biebricher Schloss. Beobachter bescheinigten ihm eine »glückliche Bildung« und »gefälliges Betragen«. Dass ihn sein Vater 1779 elfjährig an die sieben Jahre ältere Prinzessin Maximiliane von Montbarry, war Tochter des französischen Kriegsministers, verheiratete, tragen wir Nachgeborenen mit Fassung.

 

Die in Reichshofen im Elsass mit viel Pomp gefeierte Hochzeit währte drei Tage. Nur

durch Drohen mit einer Rute war der Bräutigam zu bewegen, mit seiner Angetrauten ein Menuett zu tanzen. Maximiliane wohnte nach der Hochzeit wieder in Paris.

 

Heinrich erhielt 1782 in Göttingen bei dem berühmten Professor Georg Christoph Lichtenberg Unterricht in Physik.

 

1793 flüchtete Fürst Ludwig samt Familie vor den französischen Revolutionstruppen

nach Aschaffenburg, wo er im Jahr darauf verstarb. Der Erbprinz, dem die Franzosen sämtliche väterliche Besitzungen abgenommen hatten, stürzte 1797 im fränkischen Exil in

der Nähe von Ansbach bei einem Ausritt vom Pferd und folgte, erst 29 Jahre alt, seinem Vater in die Ewigkeit.

 

Am 25. Februar 1803, auf der letzten Sitzung des Immerwährenden Reichstags zu

Regensburg, wurde durch Reichsdeputationshauptschluss das Fürstentum Nassau-Saarbrücken wie viele andere Kleinstaaten des Heiligen Römischen Reiches für

immer von der Landkarte getilgt.

 

Eckart Sander

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